13. Juli 2023 / Lokales

100 Jahre Anna-Villa: Die Nazis

Reportage Teil 3

100 Jahre Anna-Villa

Teil 3 - Nationalsozialistische Volkswohlfahrt wird Eigentümer

Seit 1925 diente das Annahaus als Säuglings- und Wöchnerinnenheim. Jedoch änderten sich die politischen Verhältnisse drastisch, wodurch christliche Institutionen wie das vom Caritasverband betriebene Annahaus den Nationalsozialisten verdächtig erschienen und ihnen vielfach ihre Aufgaben entzogen wurden.

Im Jahr 1933 wurde Landrat Fenneberg von Landrat Gärtner abgelöst, und ein Jahr später wurde sogar die Existenz der Institution in Frage gestellt, was das geplante Neubauprojekt endgültig zum Scheitern brachte. Finanzielle Schwierigkeiten aufgrund steigender Geburtenzahlen (1937 - 116 Entbindungen, im Vergleich zu 1926 - 88 Entbindungen) und fehlende Unterstützung seitens der Behörden erschwerten die Arbeit im Annastift zusätzlich. Trotz dieser Herausforderungen wurden im Jahr 1937 weiterhin Kurse in Säuglings-, Kinder- und Familienpflege angeboten, Krankenbesuche durchgeführt und kostenlose Armenspeisungen angeboten.

Das Haus wurde 1939 von der NSDAP übernommen und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) übergeben. Der Ortsgruppenleiter Karl Kelle nahm dort seinen Wohnsitz ein und führte unter dem Bild von Adolf Hitler sogenannte "Deutsche Taufen" durch - ganz im Sinne der NS-Mythologie. Ein NSV-Kindergarten wurde eingerichtet, das Wöchnerinnenheim wurde gleichgeschaltet und schließlich im Januar 1940 aufgelöst.

Ab 1937 fanden stationäre Entbindungen im St. Elisabeth Hospital statt, zuerst vereinzelt und später immer häufiger. Karl Kelle war zuvor 15 Jahre lang Lehrer an der evangelischen Schule in Beckum gewesen, bevor er 1934 nach Oelde versetzt wurde. Dort wurde er zum Ortsgruppenleiter befördert. Nach fünf Jahren kehrte er als Rektor zur Antoniuschule zurück und benannte sie in Hans-Schemm-Schule um, benannt nach einem Nazi-Funktionär. Sein Ziel war es, "Schule und Partei zu einer inneren Einheit" zu verschmelzen. Als der Krieg sich dem Ende näherte, äußerte Kelle seinen Glauben an den Endsieg und seine Bereitschaft, Beckum zu verteidigen, Autobahn- und Wersebrücken zu sprengen und öffentliche Gebäude zu zerstören.

Jedoch besiegelte er damit wohl sein eigenes Todesurteil, denn am Abend des 30. März wurde er Opfer eines Attentats. Im Eingangsbereich des Annahauses wurde er von zwei unbekannten Personen mit einem Bauchschuss niedergestreckt. Schwer verletzt verbrachte Kelle die Nacht auf einer Bahre im Keller, bevor er ins St. Elisabeth Hospital gebracht wurde, wo er am 4. April verstarb. Sein Wunsch, in Parteiuniform zu sterben, konnte nicht erfüllt werden. Obwohl die Täter nie ermittelt wurden, wurde ein Mann mit langem Vorstrafenregister als möglicher Täter gehandelt. 

Lies im nächsten Teil, wie die Geschichte der Anna-Villa nach dem 2. Weltkrieg weitergeht!
Hier kommst du zu >> Teil 1 und >> Teil 2 der Jubiläumsausgabe.

Quelle: Hugo Schürbüscher

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